Sie sind bereits überall zu sehen, Menschen, deren gesamtes Selbstwertgefühl auf der Anzahl der „Likes“ auf Instagram und Facebook beruht. Menschen, die mit Argusaugen über den Zähler ihrer Follower wachen und gleich von Selbstzweifeln zerfressen werden wenn auf einmal fünf bis sechs von ihnen weg sind.
Bestes Beispiel vor zwei Wochen:
Meine Frau und ich haben in einem größeren Einkaufszentrum bei Wien ein Restaurant besucht. Zwei Tische weiter saß ein Mann, der gerade sein Essen serviert bekam. Gut gekleidet, gepflegte Erscheinung, ist okay, man zieht sich ja gerne was Nettes an….
Jedoch hatte er anscheinend ein riesiges Problem damit, endlich mit dem Essen anzufangen, weil er gute zehn Minuten damit gekämpft hat, ein Selfie mit seinen Käsespätzle zu machen. Gut, ich fotografiere auch gerne mein Essen, wenn ich es nicht vorher schon verputzt habe (passiert mir ziemlich oft), aber kalt wurde bei mir noch keine Mahlzeit. 😀
Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass ihm das kalte Essen dann noch geschmeckt hat. Naja, meine Frau und ich haben uns köstlich darüber amüsiert und als er endlich sein perfektes Foto für Insta hatte, bekamen wir auch schon unser Essen auf den Tisch.

Wieviel echtes Leben steckt in einem Social Media Account?
Natürlich zeigen sich 85% der Leute nur von ihrer allerbesten Seite und trimmen natürlich ihr Profil auch in diese Richtung. Auf Instagram geht das ja auch relativ einfach…. ein schönes Bildchen rein, wenn man nicht gerade Fotograf ist noch ein Filterchen drüberlegen….. und die heile Welt ist fertig!
Beispielhalber habe ich hier ein paar Postings von mir, inklusive Hintergrundgeschichte:
Beispiel Nummer eins:
Eine hübsche, harmonische Langzeitbelichtung von einem kleinen Wasserfall hinter Kirchschlag/ i.d.b.W.
Fakt 1: Meine Kamera und ich standen im Wasser
Fakt 2: Es war gerade einmal ein 40 cm breiter Bach, der mit Rosenwaldmeister (dieses stinkende lila Kraut, was man oft in Auengebieten findet) und Brennesseln verwuchert war.
Fakt 3: Hinter mir war so viel Gefluche, weil meine Frau und mein Hund in der Zwischenzeit von riesigen Waldameisen und Bremsen fast aufgefressen wurden. Auch ich wurde selbst noch später im Auto von den Ameisen gebissen…..

Beispiel Nummer zwei:
Meine neueste Leidenschaft: Urban Exploring
Diese Leidenschaft für verfallene und verlassene Gebäude, Ruinen oder Tunnel faszinierte mich schon lange, jedoch fehlte mir immer der Mut, solche aufzusuchen.
Ende vorigen Jahres passierten gleich mehrere Dinge, die mir persönlich einen mächtigen Dämpfer verpasst haben und mich in eine Identitätskrise stürzten.
Neue Bekanntschaften (aus den Social Media 😉 ) waren es schließlich, die mich, wahrscheinlich ohne ihr wissen, dazu begeisterten, überhaupt wieder ernsthaft mit dem Fotografieren anzufangen (2017 und 2018 hatte ich das schon teilweise auf Eis gelegt) und mich, eben auf diese Sparte der Naturfotografie neugierig machten.
Um noch meinen persönlichen Senf dazuzugeben und ja, das darf ich, ist ja auch mein Blog 😀 :
Ich bewundere die übrigen 15%, die ihre Social Media Accounts authentisch halten. Menschen, die eine Message aussenden, ohne damit ihr Ego aufpolieren zu wollen. Ich habe Menschen über Social Media kennengelernt, die wegen Depressionen in Behandlung sind und auch in den Medien offen damit umgehen.
Einige meinen vielleicht, so etwas gehört nicht auf Instagram und Co…. Ich finde, speziell so etwas gehört dort hin. Die Welt bzw. das Leben sind nicht nur bunt und fröhlich. Wo Licht ist, werden Schatten geworfen und diese Schatten darf man nicht überblenden.
Wieso beziehe ich die Fotografie in den Titel mit ein?
Weil es ebenso ein Dauerthema ist, ob Social Media auf irgendeine Weise die Fotografie beeinflussen, zerstören oder überhaupt etwas damit zu tun haben.
Fakt ist, durch Instagram wurden viele Menschen der Fotografie nähergebracht, aber leider nicht unbedingt vom künstlerischen Passus. Hierbei geht es oft eher darum: Fotografieren, um mitzuschwimmen. Ich spreche jetzt über diese sogenannten Instaspots.
Erklärung: Tausende, narzisstisch, soziopathisch angehauchte Minderwertigkeitskomplexler steuern einen bestimmten Wasserfall oder eine bestimmte Klippe in einem bestimmten Land an um dieses eine Foto zu machen, was sie auf einem anderen Instagram Profil gesehen haben. Es soll jedem freistehen, dass er Hunderte Euro für eine Reise ausgibt, nur um ein Foto zu machen, aber das Problem ist, dass 99% dieser Personen keinen Respekt im Umgang mit der Natur haben.
Gebiete wie Island, die vor geraumer Zeit noch ein Geheimtipp waren, kann man nur noch bereisen, wenn man Einheimische kennt, die Dir noch abgelegene Gebiete zeigen können. Für Island selbst ist der dadurch entstandene Tourismus sowohl Fluch als auch Segen. Früher war es ein Urlaubsland für Ruhesuchende und heute boomt der Massentourismus…
Instagram vs. Qualität
Wie unterscheidet man ein 0815 Foto von ernsthafter Fotografie? Fakt ist, auf Instagram kann man so ziemlich jeden Müll als ernste Fotografie verkaufen, sofern man sich an gewisse Schematika hält:
Ganz beliebt ist momentan die „Einzelne Person in weiter Landschaft“ Pose. Wenn gerade keine Person in der Landschaft ist, kann man noch immer per Photoshop das „HDR-Tonemapping“ aufs Maximum aufblasen, um wirklich das kleinste Fleckchen Licht mit Kontrast zu misshandeln. Die breite Masse wird mit „tolles Foto“ kommentieren und dir Likes da lassen. 😀
Ich habe auch in letzter Zeit öfters von Fotografen „Beschwerden“ gelesen, dass ein Foto, für das sie mehrere Stunden/Tage Vorbereitungszeit brauchten, auf Instagram gerade einmal 40 Likes bekam und wenn irgendeine Tussi (sorry, aber in diesem Wortlaut liest man es meist) einen etwas tieferen Ausschnitt postet, 800 Likes bekommt.
Okay, sind wir mal ehrlich, es war im 18. Jahrhundert so und heute erst recht: Sex sells! Nicht umsonst wurden die Entscheidungen Betamax vs. VHS und HD-DvD vs. BluRay von der Pornoindustrie entschieden. 😀
Und ich glaube mal nicht, dass die meisten, die diese Bilder liken, die Zielgruppe von ernsthaften Fotografen sind. Man muss nur mal stichprobenweise einige Profile bzw. Fotos anklicken: Mitte vierzig, anfang fünfzig, männlich, mit nacktem Oberkörper oder im Bademantel auf einer Couch oder einem Stuhl abgelichtet und im Hintergrund wahrscheinlich schon die Chloroformflaschen gestapelt……..Nein! Definitiv nicht die Zielgruppe von Fotografen! Oft eher für gewisse Behörden….. 😀
Das zweischneidige Schwert
Es ist jedoch falsch, soziale Medien deswegen zu verteufeln. Es liegt, leider wie bei allem, immer an den Menschen, die sie nutzen und an ihrer Eigenverantwortung.
Um solche „Instaspots“ zu vermeiden, benutze ich persönlich keine, beziehungsweise nurmehr wage Geotags, wie zum Beispiel, die Region oder noch weitläufiger das Bundesland. Es gibt alleine bei uns im Umkreis von 70 km drei mir bekannte Orte, die durch (soziale) Medien zerstört wurden.

Okay, bei der Kategorie Urban Exploring, Geotags zu benutzen, ist sowieso tabu! Aber genau diesen Codex halte ich inzwischen auch bei Landschafts- und Naturfotografie ein.
Fazit:
Es ist wichtig, wie man soziale Medien nutzt. Wenn man sie nur nutzt um sein Ego aufzubessern, sollte man sich möglicherweise Hilfe suchen. Jedoch ist nichts falsch daran, neue Bekanntschaften zu schließen und neue Möglichkeiten und Ideen zu entdecken, also sprich: sich persönlich weiterzuentwickeln, zu networken, etc….
So! Jetzt ist es letztendlich doch ziemlich viel Text geworden….
Falls Du es bis hier runter geschafft hast: Danke für’s Lesen!
Ich würde mich über Dein Kommentar bzw. Feedback freuen!
LG Thomas
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